Medikation

Was trägt zur Sicherheit bei der Medikation bei?

Viele ältere pflegebedürftige Menschen wenden regelmäßig Medikamente an wie Tabletten, Tropfen, Salben, Spritzen und Inhalationen. Bei falscher Anwendung wirken Medikamente nicht richtig und können schaden. Die gesundheitlichen Folgen können schwerwiegend sein. Die Prävention von Medikationsfehlern ist daher hochrelevant für die Sicherheit der Medikation – in der häuslichen sowie in der professionellen Pflege.

Was sind Medikationsfehler?

Ein Medikationsfehler liegt vor, wenn Handlungen oder Ereignisse im Medikationsprozess zu einem vermeidbaren Schaden für die Patientin oder den Patienten führen oder führen könnten.

Medikationsfehler sind im gesamten Medikationsprozess möglich: Medikamente können falsch verordnet, abgegeben, gelagert, gerichtet, dosiert, verabreicht oder angewendet werden. Fehler können außerdem bei der Information, Dokumentation, Überwachung und Bewertung der Medikation auftreten.

Medikationsfehler können von allen Beteiligten verursacht werden. Dazu gehören Ärztinnen, Ärzte, Apothekerinnen, Apotheker, professionell Pflegende, Angehörige sowie die pflegebedürftigen Menschen selbst.

Welche Bedeutung haben Pflegende für die Medikationssicherheit?

Viele pflegebedürftige Menschen benötigen Unterstützung bei der Medikation. Daher haben familial und professionell Pflegende eine wichtige Bedeutung im Medikationsprozess. Sie helfen zum Beispiel bei der Beschaffung und Lagerung, der Dosierung und Anwendung, erinnern an die Einnahme und beobachten die Wirkung der Medikation. Zudem nehmen sie Informationen und Anordnungen zur Medikation von Ärztinnen oder Ärzten entgegen und informieren diese über Beobachtungen zur Wirkung. Wenn Pflegefachpersonen bei der Medikation unterstützen, sind sie dazu verpflichtet, die ärztliche Anordnung sorgfältig und fachgerecht umzusetzen (Durchführungsverantwortung).

Wie häufig sind Medikationsfehler?

Medikationsfehler werden in Deutschland bislang nicht zentral erfasst und ausgewertet. Aber es gibt einige Datenquellen und Hinweise zur Einschätzung. So verzeichnet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) jährlich rund 1.000 Meldungen zu Medikationsfehlern. Dosierungsfehler werden dabei am häufigsten berichtet.

Die Relevanz von Medikationsfehlern bei pflegebedürftigen Menschen wird international von Fachleuten als hoch eingeschätzt. Hinweise zu Medikationsfehlern bei der Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Deutschland geben die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen durch den Medizinischen Dienst (MD) und Prüfdienst der Privaten Krankenversicherung (PKV-Prüfdienst). Laut dem 6. Pflege-Qualitätsbericht entsprach die Medikamentengabe 2019 bei 9 Prozent der von Pflegediensten versorgten pflegebedürftigen Menschen nicht der ärztlichen Verordnung. Das heißt, Medikamente wurden zum Beispiel ohne Verordnung oder mit falscher Wirkstoffkonzentration verabreicht. In der stationären Pflege entsprach die Dokumentation bei 11 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner nicht der ärztlichen Anordnung.

In einer Studie des ZQP aus dem Jahr 2020 unter ambulanten Pflegediensten gaben ein Drittel der befragten Pflegedienstleitungen und Qualitätsbeauftragten an, dass in ihrem Dienst in den letzten 6 Monaten Fehler bei der Medikamentengabe aufgetreten sind.

In einer weiteren ZQP-Studie aus dem Jahr 2019 wurden pflegende Angehörige befragt, welche Probleme bei der Medikation im letzten halben Jahr oft oder gelegentlich auftraten: Ein Drittel berichtete, dass Medikamente zum falschen Zeitpunkt angewendet wurden. Ebenfalls ein Drittel gab an, dass Medikamente nicht angewendet wurden, weil die pflegebedürftige Person diese ablehnte.

Was sind Risiken für Medikationsfehler?

Das Risiko für Medikationsfehler steigt zum einen mit der Anzahl der am Medikationsprozess beteiligten Personen und Organisationen, zum anderen mit der Anzahl der Medikamente.

Multimedikation hat ein hohes Risiko für Medikationsfehler. Multimedikation bedeutet, dass dauerhaft mindestens 5 Wirkstoffe gleichzeitig verordnet werden. Das gilt für rund 60 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland. Über 20 Prozent der 80- bis 84-Jährigen wenden 10 oder mehr ärztlich verordnete Arzneien an. Neben den ärztlich verordneten werden nicht verschreibungspflichtige Medikamente angewendet. Anzunehmen ist, dass die behandelnden Ärztinnen und Ärzte hierüber nicht immer informiert werden.

Hinzu kommt: Im höheren Alter verändert sich die Wirkung der Arzneimittel im Körper. Zum Beispiel bauen Leber und Niere die chemischen Stoffe langsamer ab. Ältere Menschen sind daher gefährdet, für sie ungeeignete Medikamente oder eine ungeeignete Dosierung zu erhalten. Die PRISCUS-2.0-Liste weist potenziell ungeeignete Arzneimittel für Menschen ab 65 Jahren aus.

Was sind Ursachen für Medikationsfehler?

Mögliche Ursachen für Medikationsfehler sind vielfältig und vielschichtig, zum Beispiel:

  • fehlendes Wissen, fehlende Kompetenzen
  • ungenügende Information/Kommunikation
  • unklare Zuständigkeiten/Vorgehensweisen
  • Ablenkung, mangelnde Konzentration
  • mangelnde Sorgfalt/Disziplin
  • Zeitdruck, fehlendes Personal
  • Verwechslungen durch ähnlich klingende oder aussehende Medikamente

Einfluss auf Medikationsfehler hat zudem das Verhalten der Patientin oder des Patienten. Wenn ärztliche oder pflegerische Empfehlungen zur Medikation nicht eingehalten werden, spricht man von Non-Adhärenz. Diese kann bewusst oder unbeabsichtigt sein. Ursachen sind zum Beispiel Angst vor Nebenwirkungen, Ablehnung oder Zweifel am Nutzen der Behandlung. Auch psychische Erkrankungen, Vergesslichkeit oder praktische Schwierigkeiten bei der Anwendung können dazu beitragen.

Welche Folgen können Medikationsfehler haben?

Medikationsfehler müssen nicht unbedingt, aber sie können zu einem gesundheitlichen Schaden für die Patientin oder den Patienten führen. Bei einem Medikationsfehler kann es sein, dass Medikamente nicht wirken können, zu wenig oder zu stark wirken. Es können vermeidbare Wechselwirkungen und Nebenwirkungen sowie Unverträglichkeiten auftreten. Etwa 5 bis 10 Prozent der Krankenhausaufnahmen werden auf unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln zurückgeführt. Ein relevanter Teil davon wäre unterschiedlichen Studien zufolge vermeidbar.

Beispiele für gesundheitliche Folgen von Medikationsfehlern sind Schwindel, Stürze, Verdauungsstörungen, Herz-Kreislauf-Probleme wie hoher oder niedriger Blutdruck und Herz-Rhythmus-Störungen, Blutgerinnungsstörungen sowie Schäden an Nieren und Leber.

Medikationsfehler mit Psychopharmaka können Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Wahnvorstellungen auslösen oder verstärken. Schlaf- und Beruhigungsmittel können abhängig machen. Eine fehlerhafte Medikation kann letztlich auch zum Tod führen.

Was trägt zur Medikationssicherheit bei?

Information, Aufklärung und Schulung
Der Umgang mit Medikamenten ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Hochrelevant ist dabei das Wissen pflegebedürftiger Menschen und Pflegender über gesundheitliche Risiken sowie geeignete Maßnahmen, um diese Risiken zu minimieren. Information, Aufklärung und Schulung tragen daher maßgeblich zur Medikationssicherheit bei.

Kommunikation und Standardisierung
Für die Medikationssicherheit ist eine gute Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen allen am Medikationsprozess Beteiligten entscheidend. Dabei können standardisierte Abläufe und Kommunikationsprozesse oder digitale Technik unterstützen. Pflegefachliche Leitlinien und Standards dienen außerdem als Handlungshilfe beim Umgang mit Medikamenten.

Sicherheitskultur der Organisation
Zur Medikationssicherheit trägt die Sicherheitskultur einer Organisation bei. Bei einer positiven Sicherheitskultur wird Sicherheitsaspekten hohe Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei steht die gesundheitliche Sicherheit der zu versorgenden Menschen im Fokus. Dazu gehört auch die Art und Weise, wie sich die Mitarbeitenden einer Organisation für sicherheitskritische Probleme engagieren.

Verblisterung
Um das Fehlerrisiko beim Richten von Medikamenten zu reduzieren, können Medikamente verblistert werden. Das bedeutet, dass die Medikamente in der Apotheke individuell nach Einnahmezeiten vorsortiert und verpackt werden. Die Verblisterung trägt auch dazu bei, Einnahmezeiten besser einzuhalten. Jedoch sind nicht alle Medikamente dafür geeignet.

Bundeseinheitlicher Medikationsplan
Der Medikationsplan soll helfen, den Überblick zu behalten und bei der sicheren Anwendung der Arzneimittel unterstützen. Er enthält alle wichtigen Informationen zur Medikation, etwa Wirkstoffe, Einnahmezeiten und Dosierungen. Er wird von der Ärztin oder vom Arzt ausgestellt. Gesetzlich Versicherte haben Anspruch darauf, wenn sie mindestens 3 verordnete Medikamente anwenden, die über den Blutkreislauf wirken.

Medikationsanalyse
Bei der Medikationsanalyse werden in der Apotheke alle aktuellen Medikamente erfasst, einschließlich rezeptfreier Medikamente, Naturheilprodukte und Nahrungsergänzungsmittel. Gleiches gilt für Dosis, Art und Zeitpunkt der Anwendung. Dabei wird die Medikation beispielsweise auf Verträglichkeit, Wechselwirkungen oder die richtige Anwendung überprüft und gegebenenfalls eine Umstellung vorgeschlagen. Wer dauerhaft mindestens 5 verordnete Arzneimittel anwendet, kann die Medikationsanalyse einmal jährlich oder bei Umstellung der Medikation kostenlos nutzen.

QUELLEN
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AKTUALISIERT
am 13. März 2023

AUTORINNEN
S. Garay, L. Kühnlein,
K. Lux, N. Möhr,
D. Sulmann, D. Väthjunker