Wissenschaft

Wo steht die pflegerische Präventionsforschung?

Die Prävention von Krankheit und bei Pflegebedürftigkeit hat einen hohen gesellschaftlichen Wert. Wodurch die Gesundheit erhalten und Gesundheitsproblemen vorbeugt werden kann, wird daher fortwährend erforscht. Auf Basis dieses Wissens können fundierte Entscheidungen zur Ausrichtung von Maßnahmen, Therapie und Versorgung getroffen werden. Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen ist unter anderem, wie wirksam bestimmte präventive Maßnahmen bei bestimmten Personengruppen sind. Ein Teil dieser Forschung beschäftigt sich auch damit, welche gesundheitsfördernden und präventiven Ansätze gerade für ältere und pflegebedürftige Menschen geeignet sind.

Die Mehrzahl dieser Studien ist medizinisch und pharmazeutisch ausgerichtet. Ein weitaus kleinerer Teil der Wissenschaft beschäftigt sich mit pflegerischer Prävention – also mit Maßnahmen, die in der Pflegepraxis angewandt werden.

Wo liegen die Herausforderungen pflegerischer Präventionsforschung?

Sogenannte Determinanten der Gesundheit – also Einflussfaktoren – sind gerade bei älteren, pflegebedürftigen Menschen komplex: Denn neben festen Faktoren wie genetische Disposition, Alter und Geschlecht, wirken eine ganze Reihe von variablen Aspekten auf den Gesundheitszustand ein: das Gesundheitsverhalten, die körperlichen und geistigen Ressourcen, die soziale Situation sowie die medizinische, therapeutische und pflegerische Versorgung. Dabei sind sowohl in der häuslichen, als auch im Bereich der stationären Versorgung meist mehrere Personen und Berufsgruppen eingebunden. Ob und wie eine ganz bestimmte pflegerische Maßnahme präventiv gewirkt hat, ist daher in vielen Fällen nicht sicher zu belegen.

Hinzu kommt, dass viele Studien ein eng abgestecktes Feld untersuchen: sie betrachten beispielsweise eine genau festgelegte Intervention bei Menschen mit einer bestimmten Erkrankung in einem eng umgrenzten Setting. Das macht es zum einen schwierig, das Fernbleiben von Krankheit oder den Erhalt von Fähigkeiten eindeutig auf eine bestimmte pflegerische präventive Maßnahme zurückzuführen. Zum anderen lässt sich dann nicht oder nur sehr bedingt verallgemeinern bzw. auf andere Umstände übertragen, was in dieser speziellen Situation wirksam oder unwirksam war,

Eine weitere Herausforderung liegt darin, ältere und pflegebedürftige Menschen für eine Studienteilnahme zu gewinnen. In Pflegeheimen zu rekrutieren bedeutet zudem, nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner selbst, sondern auch die Einrichtungsleitung bzw. die Mitarbeitenden vor Ort von einer Studienteilnahme zu überzeugen. Knappe zeitliche Ressourcen können dies erheblich erschweren. Hinzu kommt, dass an die Entscheidung, wer an Studien teilnehmen darf, strenge ethische Anforderungen gestellt werden. Körperlich oder kognitiv stark eingeschränkte Menschen zählen zur besonders verletzlichen Personengruppe und kommen deshalb seltener als Probandinnen und Probanden infrage als gesündere Menschen. Nicht zuletzt sind repräsentative, belastbare Studien mit hohem Aufwand und hohen Kosten verbunden und können auch deswegen nicht immer realisiert werden.

So ist die Anzahl an Studien mit hoher Studiengüte, Aussagekraft sowie Übertragbarkeit überschaubar. Daher ist auch der Wissensstand zur Wirksamkeit bzw. Eignung präventiver Maßnahmen in der Pflege noch verbesserungsbedürftig.

Was ist über die Wirksamkeit pflegerischer Prävention bekannt?

Wenngleich der Wissenstand zum Teil dürftig ist: Wissenschaftliche Untersuchungen und Erfahrungen zeigen, dass präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen grundsätzlich bis ins hohe Alter nützlich sind. Fundierte Erkenntnisse gibt es zum Beispiel zu guter Wirkung zielgerichteter Bewegungs- und Koordinationsübungen bei pflegebedürftigen Menschen. Das gilt nicht nur für die Förderung der Selbstständigkeit, sondern auch für die Vermeidung von Stürzen. Bewegungsübungen im Alltag können sich zudem günstig auf die kognitiven Fähigkeiten auswirken. Auch in Bezug auf Ernährung sowie soziale Kontakte konnten einige Studien positive Effekte auf die Gesundheit im Alter nachweisen.

Vor allem scheint sich die Kombination verschiedener präventiver Maßnahmen positiv auf die körperlichen und geistigen Fähigkeiten auszuwirken. Welche im Einzelnen geeignet sind, muss individuell und unter Berücksichtigung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten, aber auch der Bedürfnisse der pflegebedürftigen Person ermittelt werden.

Letztlich sind präventive und gesundheitsfördernde Interventionen in der Regel vor allem dann wirksam, wenn sie langfristig in den Alltag integriert werden. Dafür müssen sie so angelegt sein, dass sie praktikabel und akzeptabel sind.

In den Tipps zur Prävention sind fundierte Hinweise zur Förderung der Gesundheit beziehungsweise zur Vorbeugung verschiedener Probleme im Zusammenhang mit der Pflege zusammengestellt.

Wo findet man hochwertige Literatur?

Anlaufstellen für die wissenschaftliche Recherche sind z. B. einschlägige internationale wissenschaftliche Literaturdatenbanken. Für eine Recherche  zu deutschsprachigen Publikationen im Bereich der Altersforschung steht der kostenfrei zugängliche Online-Katalog GeroLit des Deutschen Zentrums für Altersfragen zur Verfügung.

Die ebenfalls frei zugängliche Forschungsdatenbank des ZQP ermöglicht die Recherche nach deutschsprachigen pflege- und alternsbezogenen Forschungsprojekten und Studien, unter anderem zur Prävention.

Einen Überblick über den Forschungsstand im Bereich der pflegerischen Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation gibt das ZQP-Online-Angebot Pflegerische Prävention und Rehabilitation. Die Übersicht enthält unter anderem umfassende Informationen zur Wirksamkeit einzelner pflegerischer Interventionen im ambulanten, stationären und rehabilitativen Setting.

Welche Übungen zur Bewegungsförderung in Pflegeheimen geeignet sind, stellen die ZQP-Materialien Interventionen zur Bewegungsförderung dar.

Im Einklang mit dem Weltbericht über Altern und Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) arbeitet hierzulande eine Reihe an Institutionen und Initiativen daran, Gesundheitsförderung und Prävention verstärkt in den Lebenswelten älterer bzw. auch pflegebedürftiger Menschen zu verankern. Beispiele sind die Nationale Präventionskonferenz, die Angebote der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und die Nationale Demenzstrategie. Projekte im Bereich der ambulanten und stationären Versorgungsforschung fördert der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) aus dem Innovationsfond.

Im Forschungsprojekt „Qualitätsorientierte Prävention und Gesundheitsförderung in Einrichtungen der Pflege und Eingliederungshilfe“ (QualiPEP), wird derzeit ein Qualitätsrahmen für Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung in Pflegeeinrichtungen entwickelt. Das Projekt wird vom AOK-Bundesverband im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums durchgeführt.

QUELLEN
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AKTUALISIERT
am 08. Dezember 2020

AUTOR
S. Garay, N. Kossatz,
D. Sulmann

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